06.02.13 | Holy Motors

18.00/20.30

 

Im Morgengrauen erwacht der geheimnisvolle Monsieur Oscar (Denis Lavant) aus einem Traum, bricht durch seine Schlafzimmerwand und gelangt in einen Kinosaal. Es ist der Beginn einer surrealen Reise durch Paris. In einer riesigen weißen Stretch-Limousine wird er den ganzen Tag durch die Stadt gefahren, begleitet von der fürsorglich-strengen Chauffeurin und Betreuerin Celine (Edith Scob). Monsieur Oscar erhält, einem ominösen Auftragsbuch folgend, fortlaufend neue Anweisungen, die ihn zu dauernden Rollenwechseln nötigen. Zuerst sieht man ihn als alternden Bankier, der sich mit einem Berufskollegen darüber unterhält, wie man sich das Prekariat am besten vom Leibe hält. Dann ist er selbst als Bettlerin am Pont-Neuf unterwegs. Den treusorgenden Vater einer halbwüchsigen Tochter muss er auch noch geben, außerdem einen Auftragsmörder und schließlich darf er ein verführerisches Top-Model (Eva Mendes) in eine Gruft entführen… Oscar ist offensichtlich ein guter Schauspieler und übernimmt jede Rolle, manche mit stoischer Gelassenheit, andere eher mit gequältem Aufstöhnen. Mit jedem Charakterwechsel werden die Motive unklarer und der Trip wird zu einer Reise, in der sich Realität, Träume und Reflexionen über das Kino zu einem undurchschaubaren Geflecht vermengen. Ist Oscar eine gespaltene Persönlichkeit? Oder ist das alles nur ein kafkaesker Kommentar über die Wirklichkeit, in der wir alle auch diverse Rollen einnehmen, im Beruf, in der Familie, bei Facebook? Regisseur Leos Carax lässt das alles offen und so verwundert es kaum, dass „Holy Motors“ extrem unterschiedliche Kritiken auf sich gezogen hat. Sieht man hier höchste Kinokunst oder vollendeten Hokuspokus? Da bleibt nur eines: sich selbst ein Urteil zu bilden.
Frankreich 2012, Regie: Leos Carax, Darsteller: Denis Lavant, Edith Scob, Eva Mendes, ohne Altersangabe, 112 min