18.00/20.30
Feines Gebäck steht nicht gerade ganz oben auf dem Speisezettel bei den Siedlern im wilden Oregon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Koch Cookie (John Magaro) und der chinesische Einwanderer King-Lu (Orion Lee) beabsichtigen, diese Marktlücke zu schließen. Die beiden Experimentierfreudigen tüfteln an einer Rezeptur irgendwo zwischen englischen Scones und amerikanischen Donuts. Mit Erfolg. Nach kurzer Zeit ist ihr Backwerk der Renner in der ganzen Umgebung. Einziges Problem: Milch ist für die Herstellung der schmackhaften Kekse unabdingbar. Im weiten Umkreis gibt es jedoch lediglich eine einzige Kuh und die gehört dem örtlichen Großgrundbesitzer. Nur regelmäßige nächtliche und selbstverständlich illegale Melkaktionen können hier Abhilfe schaffen. Man ahnt schon bald, dass dieses Treiben nicht lange gut gehen kann. Die Regisseurin Kelly Reichardt präsentiert eine einfache Geschichte aus der Zeit der Besiedlung des Wilden Westens. Was „First Cow“ so besonders macht: Die meisten Filme dieses Genres, auch viele inhaltliche Meisterwerke, scheinen geradezu aus dem Bilderbuch entsprungen zu sein. Farbgesättigte Saloons, auf Hochglanz gewienerte Uniformen, selbst der Straßenstaub in den nachgebauten Kleinstädten des Wilden Westens wirkt wie frisch gefegt und gefeudelt. Ganz anders Reichardt: Die windschiefen Palisaden des Forts, in dem die beiden Zuckerbäcker ihr Naschwerk feilbieten, fallen vor Fäulnis fast um. Und mag das Anwesen des Großfarmers auch vornehm eingerichtet sein, ist es doch mangels adäquater Heizung im Winter eisig kalt. Von der ersten Minute an wird das Publikum Zeuge von Hunger, Dreck und Kälte. Man spürt das fast körperlich. In solchen Momenten kommt einem dieser Spielfilm wie eine Dokumentation vor. So muss der sogenannte Wilde Westen wohl wirklich gewesen sein. Ein seltenes und zutiefst beeindruckendes Kinoereignis.
USA 2019, Regie: Kelly Reichardt, Darsteller: John Magaro, Orion Lee, Toby Jones, ab 6, 122 min, englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln