18.00/20.30
Bei einem Autounfall verliert die kleine Alexia beinahe ihr Leben und bekommt zur Stabilisierung des gebrochenen Schädels eine Titanplatte eingesetzt, die sie für den Rest ihres Lebens tragen muss. Das Leben mit dem rettenden Metall aber birgt Gefahren in sich, wie ein Arzt warnt: „Achten Sie auf neurologische Anzeichen“, sagt er nach dem Eingriff zu den Eltern, doch da ahnt noch niemand, wie sehr sich Alexia in späteren Jahren verändern wird. Und ob dies wirklich die Folge des titelgebenden Metalls ist oder nicht vielmehr einem Mangel an Elternliebe entspringt und nur dem Titan angelastet wird, steht zumindest als Möglichkeit im Raum. Jedenfalls fühlt sich Alexia (Agathe Rousselle) später immer wieder zu Metall und monströsen Maschinen magisch hingezogen. Sie strippt bei Autoshows und räkelt sich auf Motorhauben glänzender und verchromter Edelkarossen. Neben ihrer Vorliebe für Metall und Maschinen gibt es noch weiteren bestimmenden Faktor in ihrem Leben: Gewalt. Einem zudringlichen Fan bei einer Autoshow zum Beispiel rammt sie humorlos einen Stab ins Ohr, als dieser ihr Nein nicht akzeptieren will. Und von da an wird der Film noch merkwürdiger und wilder, als er bislang ohnehin schon war. Denn Alexia nimmt die Identität eines seit vielen Jahren verschwundenen jungen Mannes an, verformt auf brutale Weise ihr Gesicht, schneidet sich die Haare, bindet sich die Brüste ab. Dann sucht sie Unterschlupf bei dem Vater des Jungen (Vincent Lindon), der als Chef einer Feuerwehrbrigade über sein eigenes kleines Reich herrscht. Sich auf die (alp)traumhafte Logik von „Titane“ einzulassen, wird nicht jedem gelingen. Beim Filmfestival in Cannes jedenfalls fühlte es sich an, als fege dieses rauschhafte Feuerwerk aus Farben, permanenten Grenzüberschreitungen und purem Adrenalin jeden anderen Wettbewerbsfilm einfach hinweg und lasse überhaupt nur begeisterte Zustimmung oder brüske Ablehnung zu. Ein Wirbelsturm von einem Film, ausgezeichnet mit der Goldenen Palme.
Frankreich/Belgien 2021, Regie: Julia Ducournau, Darsteller: Agathe Rousselle, Vincent Lindon, Lais Salameh, ab 16, 108 min