18.00/20.30
Wie für das Kino gemacht scheint das familiäre Zusammenleben der Geschwister Emily, Charlotte, Anne und Branwell Bronte. Es ist immer wieder faszinierend, das Pfarrhaus in Yorkshire, in dem die Schriftstellerfamilie aufwächst, als ein Treibhaus der Geschwisterliebe, Rivalität und Inspiration zu erkunden. Die Regisseurin Frances O’Connor legt den Schwerpunkt auf Emily, den ewigen Sonderling der Familie, die Verfasserin von „Sturmhöhe“. Filme über die Bronte-Schwestern sind nicht immer eine Freude für Anhänger einer originalgetreuen Verfilmung. Auch O’Connor geht in ihrem Film recht nonchalant mit den Fakten um. So dichtet ihr Drehbuch Emily (Emma Mackey) eine stürmische Liebesgeschichte mit dem neuen Vikar der Gemeinde (Oliver Jackson-Cohen) an, einem charmanten Puritaner, der nun erfährt, wie zerrissen sich das Leben anfühlen kann. Die geheime Leidenschaft weckt die Eifersucht des Bruders Branwell (Fionn Whitehead), der bis dahin Emilys engster Seelenvertrauter war. O’Connor ist eine Spezialistin für die sittlichen Verschnürungen des viktorianischen Zeitalters. Genau und betont unironisch nimmt sie in den Blick, wie ehern die Vorstellungen von Schicklichkeit und Anstößigkeit sind in dieser engen und abgeschiedenen Provinzwelt. „Emily“ ist aber auch ein Schauspielerfilm: Gesichter, intim und frontal aufgenommen, offen, angreifbar und zugleich widerständig. Ein eindringliches Portrait Emily Brontes und ihrer Familie.
Großbritannien 2022, Regie: Frances O’Connor, Darsteller: Emma Mackey, Oliver Jackson-Cohen, Fionn Whitehead, ab 12 , 130 min