2.10. | Frau Stern

18.00/20.30
„Ich will sterben“, raunzt Frau Stern (Ahuva Sommerfeld) ihrem Arzt entgegen. Der entgegnet, sie sei, mit fast 90 Jahren, noch sehr vital unterwegs und das sei als großes Geschenk zu betrachten. „Wenn Sie mir nicht helfen, dann helf‘ ich mir selber“, lässt sie den Doktor daraufhin wissen und kündigt ihrem Umfeld in lapidarer Kurzform an, eine Knarre erwerben zu wollen, um sich damit zu erschießen – doch niemand in ihrem Neuköllner Kiez ist bereit, ihr eine Schusswaffe zu verkaufen. Ohnehin ist Frau Stern durchaus in der Lage, das Leben zu genießen. Mit ihrer Enkelin Elli (Kara Schröder) und deren Clique geht sie in Clubs tanzen, einmal in der Woche kommt der Friseur (Murat Seven) ins Haus und bringt außer Scheren und Lockenwicklern regelmäßig neue Rationen Gras mit. Dem Regisseur Anatol Schuster gelingt mit seinem Film etwas, was sonst zumeist nur in britischen oder skandinavischen Produktionen zu finden ist, ein stimmiger Mix aus Realitätsnähe, schwarzem Humor und Absurdität. Die Titelfigur ist als einziges Mitglied ihrer Familie dem Holocaust entronnen. Und wenn der Arzt ihr wieder einmal die Zigaretten ausreden will, kommentiert sie das mit dem lapidaren Satz „Ich hab‘ das KZ überlebt, ich werde auch das Rauchen überleben.“ Der Spruch sitzt und gehört zu den Sätzen, die diesem Film mit all ihrer Lakonie den Stempel aufdrücken. Frei von Kalendersprüchen und jeglicher Verbitterung erzählt „Frau Stern“ vom Wunsch nach Selbstbestimmung, vom Umgang mit Trauma und Trauer, zeigt Konflikte und gelebtes Leben. In der berührendsten Szene des Films, wenn Frau Stern ihre rauchig-brüchige Karaoke-Version von „Summertime“ singt, fließt das alles zusammen: „Summertime and the livin‘ is easy.“

Deutschland 2019, Regie: Anatol Schuster, Darsteller: Ahuva Sommerfeld, Kara Schröder, Murat Seven, ab 12, 79 min