18.00/20.30
Eine „humane Hinrichtung“ ist ein Widerspruch in sich, aber in der DDR gab es tatsächlich eine Weise, ein Todesurteil zu vollstrecken, die das Leiden der Verurteilten so weit wie möglich verringern sollte. Statt wachsender Todesangst vor einem lange festgesetzten Termin erhielt der Delinquent zu einem für ihn überraschenden Zeitpunkt einen Genickschuss. Nach ebendiesem „Nahschuss“ hat Regisseurin Franziska Stünkel ihren Film benannt. Es geht um die letzte Hinrichtung in der DDR, 1981. Werner Teske war Mitarbeiter der Stasi und plante die Flucht in den Westen. Teskes Fall liefert zwar die Inspiration, es geht aber nicht darum, die reale Geschichte zu inszenieren. Stünkel interessiert, wie ein Mensch eine derart extreme Situation erlebt – und wie er sich vom Täter zum Opfer entwickelt. Lars Eidinger spielt diesen Mann (Franz Walter heißt er im Film) so intensiv und komplex, dass in einigen Momenten sein Gesicht alles wesentliche erzählt. Walter hat einen offenen Blick, er spürt eine vielleicht ein wenig naive Begeisterung und ist zutiefst davon überzeugt, dem sozialistischen Staat dienen zu wollen. In seinem Vorgesetzten Dirk (Devid Striesow) findet er sogar einen Freund und Mentor. All das zerbricht und zerbröselt, als die Stasi-Aufträge härter und härter werden, als er die Anweisung erhält, Menschen zu täuschen und ihr Privatleben zu zerstören. Doch der aufkeimende Plan zur Flucht in den Westen ist schnell ausgeträumt. Sieben Jahre hat Franziska Stünkel an ihrem Film gearbeitet und das sieht man in jeder Einstellung, da stimmt jedes Wort und jedes Detail. Was „Nahschuss“ darüber hinaus so besonders macht: So gut wie immer bleibt die Kamera ganz eng bei dem Protagonisten und so hat das Publikum stets dessen Informationsstand. Wer bespitzelt eigentlich wen und ist der Prozess vielleicht nur eine Farce? All das kann Walter nicht wissen und so wissen wir es auch nicht.
Deutschland 2021, Regie: Franziska Stünkel, Darsteller: Lars Eidinger, Devid Striesow, Luise Heyer, ab 12, 116 min