24.09.2014 | Die andere Heimat

16.30/19.00

 

Ein Pferd wird beschlagen. Das glühende Eisen trifft zischend auf Hornhaut, rauhe Hände halten die Fessel des Pferdes und korrigieren vorsichtig den Sitz des heißen Metalls. Und während Simon, der Schmied, seine Arbeit tut, liegt sein Sohn Jakob im Wald auf einem Stein und liest. Es gibt nicht viele in seiner Familie, die lesen können und der Vater schon gar nicht. Mit seinem Buch über die Urbevölkerung Brasiliens träumt er sich weg in eine Ferne, die heller und wärmer ist als das reale Leben hier im Hunsrück, im (fiktiven) Dorf Schabbach, wo es wenig zu essen gibt und im Winter die Kinder reihenweise wegsterben. Der neue Film von Edgar Reitz entführt den Zuschauer in die Zeit um 1840, in eine Zeit äußerster Armut und Entbehrungen. Wie ist es gewesen, wie sah es aus, wie roch es, was fühlte, wie existierte ein Mensch in diesen ärmlichen Dörfern vor 170 Jahren? Reitz hat das gut recherchiert, vier Jahre hat er an seinem Film gearbeitet. Ihm und seinem Team gelingen überwältigend authentische Szenen. Jedes Bild, jede Stimmung, jeder Türpfosten, jedes Kostüm scheinen im Detail zu stimmen. Im Zentrum der Familiengeschichte stehen zwei Brüder, die davon träumen, nach Südamerika auszuwandern. Dieses Weggehen oder Dableiben, dieser Kampf zwischen Verantwortung für seine Sippe oder für sich selbst, zerreißt die Familien. Im Rückblick auf die Arbeit zu seinem Film überkam Edgar Reitz „eine unendliche Dankbarkeit dafür, in einer Zeit leben zu dürfen, in der Freiheit und Lebensfreude selbstverständliche Forderungen aller geworden sind“. „Die andere Heimat“ ist in (großartigen) Schwarz-Weiß-Bildern gedreht, dauert fast vier Stunden und langweilt keine Sekunde.

 

Deutschland 2013

Regie: Edgar Reitz

Darsteller: Jan Dieter Schneider, Antonia Bill, Maximilian Scheidt

230 min

 

In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven
Die 19-Uhr-Vorstellung wird eingeführt durch Lena Jung, wissenschaftliche Mitarbeiterin am DAH