18.00/20.30
Er war ein Star der Worpsweder Künstlerkolonie, der Traumprinz des Jugendstils. Heinrich Vogeler schafft sich in dem kleinen Dorf im Teufelsmoor in den 1890er Jahren ein Utopia der Künste. Und der Film feiert diesen frühen Höhepunkt von Vogelers Karriere. Die Regisseurin Marie Noelle hat an den Originalschauplätzen gedreht und lässt Florian Lukas als Vogeler sowie Anna-Maria Mühe als seine Frau Martha romantisch durch den Regen in den Wiesen laufen. Von den Spielszenen schneidet sie immer wieder zu Vogelers Gemälden, Zeichnungen und Grafiken. Noelle spielt gerne mit den Konventionen der historischen Künstlerbiographie. So lässt sie ihre Darsteller in historischen Kostümen an geparkten Motorrädern vorbei durch das Paris von heute laufen. Ansonsten ist der Film gespickt mit Archivmaterial und Ausschnitten aus Interviews mit Zeitzeugen und Spezialisten. Der Erste Weltkrieg verändert Vogelers Leben und Lebensgefühl völlig. Nach traumatischen Fronterfahrungen wird er immer mehr zum linken, schließlich kommunistischen Künstler. 1931 emigriert er in die Sowjetunion. Er sah dort eine letzte Utopie; in der Wirklichkeit erwarteten ihn stalinistische Verfolgung. Nach dem Überfall Deutschlands auf Russland im Juni 1941 wird Vogeler nach Kasachstan deportiert, wo er 1942 völlig entkräftet und halb verhungert stirbt. Marie Noelle nimmt sich in ihrem Film viel, möglicherweise zu viel vor. Persönliches Drama, politische Kunst, zwei Weltkriege, die enttäuschten Hoffnungen des Sozialismus, dazu die Idylle von Worpswede, da wäre eine etwas stärkere Fokussierung sinnvoll gewesen. Dennoch ist ihr ein kluger und künstlerisch inspirierter Film gelungen, der vor allem dem Menschen Heinrich Vogeler gerecht wird – und auch seiner Kunst.
Deutschland 2022, Regie: Marie Noelle, Darsteller: Florian Lukas, Anna-Maria Mühe, Samuel Finzi, ab 12, 90 min