18.00/20.30
Klassische Antikriegsfilme sehen anders aus. Sie zeigen Gräuel, Zerstörung, Grausamkeiten. Nicht so „This Rain Will Never Stop“. Dem Film genügt ein älterer Mann irgendwo im ukrainischen Donbass, der sein Kätzchen streichelt. „Der Tag ist um“, sagt er zu dem Tier. „Du hast ihn überlebt“. Irgendwo aus der Ferne ertönt Geschützfeuer. Die Regisseurin Alina Gorlova liebt solche kleinen Momente, in denen sie nichts erklären und einordnen muss. Weder, zu welcher Nationalität der Mann mit dem Kätzchen gehört, noch was es mit den Schüssen auf sich hat. Beinahe der gesamte Film besteht aus solchen Vignetten, die mehr zum Ausdruck bringen, als es Interviews, Off-Kommentare oder Hinweise auf Zeit und Ort könnten. Dann begegnen wir Andrij Sulejman. Der junge Mann stammt aus Syrien, sein Vater ist Kurde, seine Mutter stammt aus der Ukraine. Trotz gelungener Integration ringt er mit seiner Identität. Soll er in den Westen gehen? Oder lieber wieder nach Syrien zurück, in seine eigentliche Heimat? Andrij fühlt sich wie zerrissen. Aber das ist nur die eine Ebene des Films. Die andere besteht aus essayhaften Bildern. Ein Drohnenflug über ein ausgedörrtes Gebirge mutet an wie die Erkundung einer Mondlandschaft, verschmilzt aber unmerklich mit den Abraumhalden der Industrieregion von Donez – plötzlich rückt ein Schwenk die rauchenden Schlote ins Bild. Ganz bewusst vermeidet Alina Gorlova erklärende Hinweise auf Raum und Zeit. Sie will ein universelles, von Metaphern durchzogenes Bild über den Hang des Menschen zur Aggression zeichnen, der die Glücksmomente wie in einem ewigen Kreislauf von Freude und Leid immer wieder ablöst. Der Film öffnet damit Denk- und Gefühlsräume ohne eine bestimmte Sichtweise vorzugeben und zwingt so zum selbständigen Mitdenken und Kombinieren von Zusammenhängen. Zwar erschwert seine fragmentarische Struktur den Überblick. Jedoch lädt diese Struktur dazu ein, sich dem Fluss der trotz des bedrückenden Umfelds hypnotisch schönen Bilder wie in einem Traum zu überlassen. Das 2020 fertiggestellte Werk war gedacht als poetische Reflexion über den ewigen Kreislauf von Krieg und Frieden. Jetzt, nach der russischen Invasion in der Ukraine, fallen die konkreten gesellschaftspolitischen Bezüge noch viel deutlicher ins Auge.
Ukraine 2020, Regie: Alina Gorlova, Dokumentarfilm, ab 12, 104 min