3.9. | Oslo Stories: Sehnsucht

18.00/20.30

Zwei Schornsteinfeger unterhalten sich während ihrer Arbeitspausen; sie sind nicht nur Kollegen, sondern auch gute Freunde. Einer der beiden gesteht, er habe gestern mit einem Kunden spontanen Sex gehabt und er habe es genossen. Ob er schwul sei, fragt der andere. „Ich bin nach meinem ersten Bier doch auch kein Alkoholiker“ und außerdem sei Sex für ihn kein Fremdgehen, antwortet der erste. Das versucht er auch seiner Frau klarzumachen. Die hadert trotzdem damit, dass sie ihrem sie über alles liebenden Mann alle Freiheiten gewähren will und es ihr zugleich so schwer fällt, seinen Seitensprung zu akzeptieren. Die beiden Schornsteinfeger offenbaren sich in ihren Gesprächen ihre Beziehungen, Bedürfnisse und Träume und kommen über ihre Geschlechterbilder ins Grübeln. Was bedeutet es, sexuell frei zu sein, während man gleichzeitig in einer klassischen Beziehung mit Ehefrau und Kindern lebt? Wie kann der Versuch gelingen, sich zu entfalten, ohne dass daraus ein Ego-Trip wird? „Sehnsucht“ ist der erste Teil der nur lose zusammenhängenden Oslo-Trilogie des Regisseurs Dag Johan Haugerud (im Original heißt der Film viel passender und vieldeutiger einfach nur „Sex“). Haugerud bricht ohne großes Drama mit Geschlechterstereotypen. So ehrlich und gefühlvoll haben Männer im Kino selten ihre Gedanken ausgetauscht.

Norwegen 2024, Regie: Dag Johan Haugerud, Darsteller: Thorbjörn Harr, Jan Gunnar Röise, Siri Forberg, Birgitte Larsen, ab 12, 118 min

10.9. | Memoiren einer Schnecke

18.00/20.30

Die 20.30-Uhr-Vorstellung wird in der englischsprachigen Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt.

Nudistencamps, Schimpfworte, religiöser Fanatismus, Alkoholismus, Kleptomanie – der neue Animationsfilm „Memoiren einer Schnecke“ des australischen Regisseurs Adam Elliot ist wirklich nichts für Kinder (oder allzu zart besaitete Erwachsene). Was jedoch aufgeschrieben nach purer Provokation klingt, entfaltet sich auf der Leinwand zu der berührenden, von vielen Schicksalsschlägen geprägten Geschichte der Zwillinge Grace und Gilbert. Nach dem Tod der Mutter im Kindbett gibt der Vater der beiden sein bestes, seinen Kindern ein sorgloses Leben zu ermöglichen. Als auch er stirbt, werden die beiden Geschwister getrennt. Gilbert landet bei einer fundamental christlichen Farmersfamilie, in der er hart arbeiten und ständig beten muss. Grace hat mehr Glück, sie wird in Canberra bei einem herzensguten Ehepaar untergebracht; dennoch fühlt sie sich ohne ihren Bruder sehr einsam. Sie zieht sich zunehmend zurück, wie die Schnecken, die sie mit Hingabe sammelt – ihrer Lieblingsschnecke Sylvia erzählt sie alles, was sie bewegt. Die Lebensgeschichten von Grace und Gilbert handeln vom Scheitern, vom Hinfallen und mühsamen Aufstehen. Sie erheben sich nicht wie ein Phönix, sondern krabbeln immer wieder aus der Asche ihrer Existenz hervor. Mobbing in der Jugend, toxische Beziehungen, Armut und Tod – der Regisseur Elliot spitzt all diese Themen ein bisschen zu, aber im Grunde kann sich jeder mit den Problemen, die Grace und Gilbert über die Jahre beuteln, identifizieren. Und es ist beruhigend zu sehen, wie schön das Leben trotz aller Härte (auch) sein kann. „Memoiren einer Schnecke“ ist ein Animationsfilm, aber die Zeichnungen werden hier durch Knetfiguren aus Lehm ersetzt. Wie bei allen Stop-Motion-Werken handelt es sich dabei um eine Sisyphus-Arbeit (wenn auch mit glücklichem Ende) : Für eine Sekunde fertigen Film sind zwölf Veränderungen an den Modellen nötig…

Australien 2024, Regie: Adam Elliot, Animationsfilm, ab 12, 95 min

17.9. | Leonora im Morgenlicht

18.00/20.30

In Europa ist die surrealistische Malerin Leonora Carrington (1917-2011) erst in den letzten Jahren bekannt geworden; heute zählt sie zu den Bestsellerinnen des internationalen Kunstmarktes. Die erste Hälfte ihrer bewegten Lebensgeschichte hat das Regie-Duo Thor Klein und Lena Vurma jetzt für die Kinoleinwand adaptiert. Basierend auf dem Roman der mexikanischen Schriftstellerin Elena Poniatowska erzählt der Film episodenhaft und in nicht-chronologischen Rückblenden aus dem Leben der Malerin (dargestellt von Olivia Vinall). In den 1930-er Jahren lebt sie als Geliebte des deutlich älteren Max Ernst (Alexander Scheer) in Paris, dann in Südfrankreich. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 wird Ernst als feindlicher Ausländer interniert; Carrington erleidet einen Zusammenbruch und findet sich in einer Nervenheilanstalt wieder. Schließlich gelangt sie über Lissabon nach Mexiko, wo sie später mit dem ungarischen Fotografen Emerico Weisz eine Familie gründet. Ihren inneren Dämonen kann sie jedoch nie wirklich entkommen. An Originalschauplätzen in Südfrankreich und Mexiko gedreht, finden die Regisseure Klein und Vurma dafür atmosphärisch beeindruckende Bilder. Etwas zu kurz kommt dabei das künstlerische Schaffen der Malerin. Ob das eine bewusste Entscheidung des Regie-Duos ist oder schlicht eine Frage der fehlenden Bildrechte, muss an dieser Stelle offen bleiben.

Deutschland/Mexiko/Großbritannien 2025, Regie: Thor Klein und Lena Vurma, Darsteller: Olivia Vinall, Alexander Scheer, ab 12, 103 min

24.9. | The Life of Chuck

18.00/20.30

Die 20.30 Uhr-Vorstellung wird in der englischsprachigen Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt.

Der Regisseur Mike Flanagan hat bereits mehrere Werke von Stephen King verfilmt; nun hat er sich dem Buch „The Life of Chuck“ angenommen. Chucks Leben wird vom Ende her aufgerollt, das mit dem Ende der Welt zusammenfällt. Wir sehen ein Klassenzimmer in einer Schule in einem kleinen amerikanischen Provinzstädtchen. Plötzlich breitet sich Unruhe aus bei den Schülern, Handynachrichten von einer Katastrophe machen die Runde. Halb Kalifornien sei im Wasser versunken, einfach abgebrochen und weggespült. Schnell folgen weitere Hiobsbotschaften und dann dauert es nicht mehr lange, bis Bildschirme dunkel werden, Fernsehnachrichten abbrechen und Autos mitten auf der Straße stehen bleiben. Irgendwann gehen auch die Lichter aus. Im Vergleich mit klassischen Apokalypse-Filmen verläuft hier alles jedoch eher gewaltfrei und unblutig. Es geht weniger um den Thrill der Ereignisse als darum, was das für die Menschen bedeutet, die sich fragen, mit wem sie ihre letzten Minuten verbringen möchten. Außerdem fragen sie sich, wer Chuck ist, dessen Botschaften jetzt plötzlich überall auftauchen, auf Plakaten gedruckt, im Fernsehen gesendet und nach dem Blackout auf Fenster projiziert. „Thank you Chuck, for 39 Years“ steht da geschrieben. Ehe das Rätsel gelöst ist, begleiten wir Chuck (Tom Hiddleston) in drei Rückblenden in seine Vergangenheit, einige Monate vor seinem Tod, in seine Jugend und seine Kindheit. Der Regisseur Flanagan bietet eine bunte Mischung aus fiktiven Biopic, entspanntem Katastrophenfilm und melancholischer Coming-of-Age-Erzählung.

USA 2024, Regie: Mike Flanagan, Darsteller: Mark Hamill, Tom Hiddleston, Chiwetel Ejiofor, ab 12, 110 min

6.8. | One to One : John & Yoko

18.00/20.30

Beide Vorstellungen werden in der englischsprachigen Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt.

1971 zogen John Lennon und Yoko Ono von England nach New York, wo sie die nächsten 18 Monate in einem kleinen Apartment in Greenwich Village lebten, in die Gegenkultur eintauchten, sich mit Künstlern und Aktivisten trafen und ihre Popularität für friedenspolitische Belange einsetzten. Vor allem aber verbrachten sie viel Zeit vor dem Fernseher. Der Umzug sollte, nach dem Auseinanderbrechen der Beatles im April 1970, eine Art Atempause sein. Zugleich war es für das Paar auch eine prägende Zeit der Veränderungen, an deren Ende das „One to One“-Benefizkonzert im Madison Square Garden am 30. August 1972 stand. Restaurierte Aufnahmen dieses Auftritts bilden das Herzstück des Films. Der Regisseur Kevin MacDonald und sein Co-Autor Sam Rice-Edwards betten dieses Live-Material ein in den politischen Kontext der Vereinigten Staaten mit dem Vietnamkrieg, der angestrebten Wiederwahl des US-Präsidenten Richard Nixon und der landesweiten Protestbewegung. Im Gegensatz dazu steht der möglichst originalgetreue Nachbau des Lennon & Ono-Apartments mit dem Fernsehschirm als Mittelpunkt und gleichzeitig als Fenster zur Welt – ein effektives Spiel mit dem Kontrast aus intimem Alltag und dem endlosen Bilderstrom aus dem TV-Gerät (was die beiden damals allerdings wirklich sahen, muss Spekulation bleiben). Als ebenso erhellend wie vergnüglich erweisen sich die zahlreichen Telefonate, die das Paar damals in dieser Wohnung führte und die sie akribisch mitschnitten. Ein beeindruckendes Schlaglicht auf das Leben der beiden weltbekannten Künstler und ihr popkulturelles Umfeld Anfang der 1970-er Jahre.

Großbritannien 2024, Regie: Kevin MacDonald, Sam Rice-Edwards, Dokumentation, 101 min

13.8. | Oslo Stories: Träume

18.00/20.30

Die 16-jährige Schülerin Johanne (Ella Överbye) hat sich in ihre Sprachlehrerin Johanna (Selome Emnetu) verliebt. Sie vergeht vor Eifersucht, wenn ihre Klassenkameradinnen irgendeine Art der Nähe zu Johanna erleben dürfen. Der Regisseur Dag Johan Haugerud zeigt uns die Lehrerin in weichgezeichneten Bildern als das wärmste Wesen der Welt. Die Schülerin wiederum schreibt sich ihre gefühlsmäßige Achterbahnfahrt von der Seele; die als Voiceover vorgetragenen Aufzeichnungen leiten durch den Film. Johannes Großmutter (Anne Marit Jacobsen), die Lyrikerin ist, und ihre Mutter (Ane Dahl Torp) bekommen die Texte zu lesen. Ihre empathische Sorge um das Mädchen wird bald zur Begeisterung über Johannes Talent zum Schreiben. Man könne das Manuskript doch einem Verlag anbieten und einen Erfolgsroman daraus machen! Dass so nüchtern-praktisch über ihr Innerstes gesprochen wird, muss Johanne kränken. Eine gefeierte Autorin werden, schön und gut, aber gehen ihre geheimsten Gefühle eigentlich irgendjemanden da draußen irgendetwas an? Den ganzen Film hindurch klingt deshalb auch der filigran-schöne Doppelsinn des Für-Sich-Behaltens an. Was du nicht teilst, ist allein dir eigen. Für diesen dritten Teil seiner Oslo Stories – Trilogie bekam der Regisseur Johan Dag Haugerud auf der Berlinale im Februar den Goldenen Bären verliehen.

Norwegen 2024, Regie: Dag Johan Haugerud, Darsteller: Ella Överbye, Selome Emnetu, Ane Dahl Torp, Anne Marit Jacobsen, ab 12, 110 min

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