7.6. | Boyhood

18.00/20.30

Das hat es im Kino noch nie gegeben: Ein Film, Herstellungsdauer zwölf Jahre, dabei nur 39 Drehtage (jedes Jahr ein paar) und immer dieselben Schauspieler. Man sieht die Darsteller sozusagen im Zeitraffer auf der Leinwand älter werden. Der Regisseur Richard Linklater nimmt seine Zuschauer in dieser Langzeit-Studie mit auf eine Zeitreise durch eine amerikanische Jugend. Mason (Ellar Coltrane) zählt gerade einmal sechs Lenze, als seine „Boyhood“ auf der Leinwand beginnt. Zwölf Jahre später ist er achtzehn und verlässt die Schule. Dazwischen liegt alles, was eine Jugend so zu bieten hat: Kabbeleien mit der Schwester (Lorelei Linklater), die Trennung seiner Eltern (Patricia Arquette und Ethan Hawke), ein neuer Stiefvater und zugehörige Halbgeschwister, außerdem Umzüge, die erste Liebe undsoweiter. Es ist faszinierend anzusehen, wie die Schauspieler in ihrer jeweiligen Rolle aufgehen und an ihr wachsen. Linklater ist eine Hymne an das Leben gelungen, voller erzählerischer Kraft und Leichtigkeit. Nach seiner umjubelten Aufführung im Wettbewerb der Berlinale galt „Boyhood“ als großer Favorit für den Goldenen Bären. Dass nur der Silberne für die beste Regie dabei herauskam, ließ alle, die den Film gesehen hatten, staunend zurück.

USA 2014,
Regie: Richard Linklater,
Darsteller: Ellar Coltrane, Patricia Arquette, Ethan Hawke,
ab 6,
164 min

14.6. | Bremerhavener Kultursommer: Filmmusik-Quiz und Stummfilm mit Livemusik 

18 Uhr : Filmmusik-Quiz mit dem Pianisten Guido Solarek

Erneut gilt bei uns das Motto: Filmmusik erkennen gleich Preise gewinnen. Der bekannte Bremerhavener Pianist Guido Solarek spielt auf seinem legendären roten Klavier die Stücke kurz an und wer am schnellsten richtig rät, darf sich über einen attraktiven Preis freuen.

19 Uhr : „Der Bergfilm“ , Stummfilm mit Live-Musik durch das Quartett „Sprachlos“

Der Film von 1930 entführt uns in die Welt des Bergsteigens der 1920er Jahre. Der Bergfilm-Pionier Arnold Fanck präsentiert einen Zusammenschnitt von Sequenzen aus mehreren seiner Filme aus den Jahren 1926 bis 1930. Zu sehen sind u.a. die zukünftigen Filmemacher Luis Trenker und Leni Riefenstahl, wie sie über eisglatte Landschaften wandern und steile Abhänge erklimmen. Vor Ort gedreht und ohne Stuntmen. Kenner des Genres werden Szenen aus legendären Bergfilmen der damaligen Zeit erkennen: „Der heilige Berg“ (1926), „Die weiße Hölle von Piz Palü“ (1929) und „Stürme über dem Montblanc“ (1930). Eine Filmcollage für alle Sinne.
Deutschland 1930, Regie: Arnold Fanck, mit Luis Trenker, Leni Riefenstahl u.a., Stummfilm, schwarz-weiß, 108 min
Die Live-Musikbegleitung wird dargeboten von dem Quartett „Sprachlos“ (Nolan Quinn – Trompete, Viola Hammer – Klavier, Simon Quinn – Bass und Brian Quinn – Schlagzeug).

21.6. | The Whale

18.00/20.30

Dieser Mann kann sich kaum noch aus seinem Sessel hochhieven. Charlie (Brendan Fraser) bringt an die 300 Kilo auf die Waage und steht ganz kurz vor dem endgültigen Kollaps. „The Whale“ des Regisseurs Darren Aronofsky erzählt die letzten Lebenstage des Schwerstgewichtigen und eröffnet dem Zuschauer die Ursachen für dessen körperlichen Zustand. Vor neun Jahren hat Charlie Frau und Tochter verlassen, für einen anderen Mann, in den er sich verliebt hatte. Die Gewissensbisse quälten ihn von Anfang an und als Alan, sein Lebensgefährte, sich das Leben nimmt, bricht für Charlie alles zusammen. Unkontrollierte Fressattacken aus Trauer und Verzweiflung überrollen den Mann, der Online-Literaturkurse gibt und dabei die Kamera ausschaltet, um sich vor den Blicken seiner Schüler zu schützen – und umgekehrt. Wie Brendan Fraser in seinem fat suit diesen Charlie darstellt, mit all seinen Sinnen, seiner Mimik, aber auch seiner selbstironischen Komik, das ist großes Schauspielerkino und brachte ihm im März einen Oscar ein. In Momenten, in denen er sich dem Ende nahe fühlt, rezitiert Charlie aus einem Essay über „Moby Dick“, der ihn besonders berührt. Und dieser große amerikanische Roman Herman Melvilles, der von so viel mehr handelt als nur vom Walfang, bildet auch immer wieder den atmosphärischen Hintergrund dieses Films. Charlies Wohnung ist so dunkel wie eine Schiffskajüte, die Kamera schwankt wie bei Seegang und draußen geht ein sintflutartiger Regen nieder, als befänden wir uns auf dem Ozean.

USA 2022,
Regie: Darren Aronofsky,
Darsteller: Brendan Fraser, Sadie Sick, Samantha Morton,
ab 12 ,
117 min

28.6. | Der vermessene Mensch

18.00/20.30

Der Film beginnt 1896 in Berlin. Im Rahmen der ersten deutschen Kolonialausstellung reisen Vertreter der Herero und Nama aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika an, in der Hoffnung, mit dem Kaiser über ihre schwierige Lage sprechen zu können. Stattdessen werden sie einem sensationsgierigen Publikum wie Zootiere vorgeführt und von Ethnologen untersucht und vermessen wie wissenschaftliche Objekte. Der Doktorand Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) steht der gängigen Theorie, schwarze Menschen seien intellektuell unterlegen, skeptisch gegenüber. Seine Begegnung mit Kezia Kambazembi (Girley Jazama), der Dolmetscherin der Hereros, bestärken seine Zweifel weiter. Als wenige Jahre später in der Kolonie ein Aufstand der Herero und Nama blutig niedergeschlagen wird, begleitet Hoffmann im Auftrag des Völkerkundemuseums die deutschen Truppen – und hofft insgeheim auf ein Wiedersehen mit Kezia. Der Regisseur Lars Kraume widersteht zum Glück der Versuchung, daraus eine Liebesgeschichte zu machen. Auch sein Ansatz, den Film konsequent aus der Täterperspektive zu erzählen, ist nach Lage der historischen Ereignisse die richtige Entscheidung, allerdings ergibt sich daraus das unvermeidliche Dilemma, dass man gerne mehr erfahren würde über die Menschen, die diesem Film seinen Titel geben. Dennoch ist Kraume eine kraftvolle und erschütternde Geschichte über die deutsche Kolonialzeit im südlichen Afrika gelungen.

Deutschland 2023,
Regie: Lars Kraume,
Darsteller: Leonard Scheicher, Girley Jazama, Peter Simonischek,
ab 12,
116 min