18.00/20.30
Es sieht so paradiesisch aus: Der gepflegte Garten mit Gemüsebeet, Vogelgezwitscher. Ein kleines Idyll, das sich Hedwig und Rudolf Höß (Sandra Hüller und Christian Friedel) mit ihren Kindern hier aufgebaut haben. Doch Rudolf Höß ist Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz und sein Wohnhaus grenzt direkt an das Lager. Schüsse, Schreie, Hundegebell dringen unablässig herüber. Doch für das Ehepaar Höß sind das nur Hintergrundgeräusche, so als wohne man an einer belebten Straße und blende den Lärm irgendwann aus. Der britische Regisseur Jonathan Glazer konzentriert sich in seinen Bildern vollständig auf die Bilderbuchidylle im Hause Höß. Das Innere des deutschen Vernichtungslagers, in dem Hunderttausende Juden ermordet wurden, zeigt er nicht. Im Prinzip habe er zwei Filme gedreht: „Es gibt den Film, den man sieht, und den Film, den man hört.“ Aus diesem Zusammenspiel entsteht eine mächtige, sinnliche und moralische Spannung. Der Zuschauer kann nicht ignorieren, was die Familie Höß zwar hört, aber beharrlich leugnet. Der Horror entwickelt sich für das Publikum über die Tonspur. Ein beklemmender, verstörender und intensiver Film, der mit den Kontrasten spielt und noch mehr mit der Auslassung. Der tödliche Schrecken bleibt draußen, er ist nur zu hören, aber er ist unüberhörbar. Glazer: „Mein Ziel war es, den Kontrast einzufangen zwischen jemandem, der sich in seiner Küche eine Tasse Kaffee einschenkt und jemandem, der auf der anderen Seite der Mauer ermordet wird, die Koexistenz dieser beiden Extreme.“
Großbritannien/USA/Polen 2023, Regie: Jonathan Glazer, Darsteller: Sandra Hüller, Christian Friedel, Imogen Kogge, ab 12, 105 min