28.2. | Perfect Days

28.2. Perfect Days 18.00/20.30

„The Tokyo Toilet“ steht auf dem taubenblauen Overall, in den Hirayama (Koji Yakusho) allmorgendlich schlüpft, um zur Arbeit zu fahren. Noch hängen die Reste der Nacht über der Stadt, wenn der Mittsechziger in aller Frühe aufsteht, seinen Futon zusammenrollt, sich wäscht, anzieht und frühstückt, bevor er vom Brett im Flur Schlüssel, Armbanduhr und Münzgeld nimmt und seine kleine Wohnung verlässt. Vor dem Haus steigt er dann wie an jedem Morgen in seinen Kleintransporter und fährt durch noch fast menschenleere Straßen zur Arbeit. Hirayama ist Reiniger öffentlicher Toiletten im Stadtteil Shibuya. Seinem Tagwerk geht er, ebenso wie seinem Privatleben, hingebungsvoll präzise und mit großer Würde nach. Wirklich schmutzig sind diese Anlagen ohnehin nie. In den Pausen setzt er sich unter einen Baum, isst sein mitgebrachtes Sandwich und fotografiert das Schattenspiel der Sonne in den Blättern. Und abends, wieder zuhause auf dem Futon, liest er alte Taschenbuchausgaben amerikanischer Schriftsteller, am liebsten Faulkner. Mit seinem einfachen, zurückgezogenen Leben in seiner eigenen, analogen Welt und den stets gleichen Abläufen ist er ganz offensichtlich zufrieden. Der Regisseur Wim Wenders und sein Kameramann Franz Lustig ziehen uns hinein in diese Welt, in der ein Blick für Alltägliches seinen ganz eigenen Zauber entwickelt. Wenders lässt das Publikum fast meditativ staunen über die Schönheit der unscheinbaren Dinge. In diesem zen-artigen Film leiser Bewegungen ist seine tiefe Liebe zu Japan und zum japanischen Kino zu spüren. Und Wenders Zuneigung ist gegenseitig: „Perfect Days“ wird nun als Japans Beitrag ins Rennen um den Auslands-Oscar geschickt.

Japan 2023, Regie: Wim Wenders, Darsteller: Koji Yakusho, Arisa Nakano, Tokio Emoto, ohne Altersbeschränkung, 123 min

21.2. | Joan Baez – I Am a Noise

18.00/20.30

Jede Person, die so bekannt ist wie Joan Baez, so heißt es zu Beginn des Films, führe drei Leben. Ein öffentliches, ein privates und ein geheimes. „Joan Baez – I Am a Noise“ spart nicht mit den bekannten Bildern einer großartigen, immer wunderschönen Frau, die lächelnd den Schlussakkord eines Protestsongs zupft und sich dann verbeugt. Joan Baez wurde zur Folk-Ikone und gleichzeitig eine Vorreiterin des linken Widerstands in den USA, kämpfte gegen Rassentrennung und den Vietnamkrieg und für die Rechte der Frauen. All das erzählt der Film. Das private Leben wird eher geschützt, Einzelheiten bleiben privat und das ist erstaunlich, denn eine Ebene darunter, wenn es um die dunklen Ecken geht, in denen die Geheimnisse einer überaus erfolgreichen Frau lauern, da öffnet sich Joan Baez. Erzählt, wie sie zu kämpfen hatte mit den Dämonen, deren Ursprung sie nicht kannte und was es oft kostete, auf die Bühne zu treten. Niemand habe gemerkt, wie schlecht es ihr manchmal ging. Und wie die Musik sie dennoch rettete. Die Bühne war Fluch und Rettung zugleich. Hier fühlte sie sich aufgehoben, in den Armen ihrer Fans. „Ich bin nicht gut in Zweierbeziehungen“, sagt sie, „zweitausend passt mir besser.“ Anhand von Animationen und Tagebucheinträgen wird das schwierige Verhältnis zum Vater, aber auch zu den beiden Schwestern beschrieben, das Baez dann offen kommentiert. Ohne Scham spricht sie über psychische Probleme und die Notwendigkeit einer Therapie, die lange Verdrängtes zum Vorschein brachte. Eine beeindruckende Dokumentation über Leben, Werk und Wirkung dieser zutiefst beeindruckenden Frau.

USA 2023, Regie: Karen O’Connor, Miri Navasky, Maeve O‘Boyle, Dokumentation, ab 12, 133 min

14.2. | Der Killer

18.00/20.30

Der Mann arbeitet mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks. Jeder Handgriff sitzt. Regungslos verharrt der Profi mit dem Scharfschützengewehr in einem leeren Pariser Bürogebäude und wartet auf den perfekten Augenblick, um seine Zielperson im Haus gegenüber auszuschalten. Wer, wieso, warum? Das sei ihm „scheißegal“, wie er im inneren Monolog erklärt, der als Erzählstimme über dem Film liegt. Doch der Schuss, den er schließlich abgibt, wird ihm zum Verhängnis, denn er verfehlt sein Ziel um einen Wimpernschlag und wird zum Startschuss für einen packenden Rachefeldzug. Der führt von Paris in die Dominikanische Republik, nach New Orleans, Florida, New York und Chicago. Inhaltlich kommt der Thriller des Regisseurs David Fincher recht gradlinig und schlicht daher. Basierend auf einem gleichnamigen französischen Comic, gibt es keine überraschenden Drehungen und Wendungen. Halte dich an deinen Plan, improvisiere nicht, verschenke keinen Vorteil, lauten die Mantra-Sätze des Killers, die auch die Filmemacher konsequent umsetzen. Dieses Roadmovie ist ganz und gar zugeschnitten auf seinen Hauptdarsteller Michael Fassbender. Der gibt den Auftragsmörder mit einer geradezu beängstigenden Gelassenheit und Kälte, kontrolliert, wortkarg und bis in die Haarspitzen fokussiert.

USA 2023, Regie: David Fincher, Darsteller: Michael Fassbender, Tilda Swinton, Charles Parnell, ab 16, 119 min

7.2. | Jeanne du Barry – Die Favoritin des Königs

18.00/2030

Die mittellose junge Jeanne Vaubernier (Maiwenn) hat es gelernt, ihren Körper als Währung einzusetzen. Die ehrgeizige Dame setzt alles daran, um am französischen Königshof des 18. Jahrhunderts erfolgreich zu sein. Aus strategischen Gründen heiratet sie den Grafen du Barry (Melvil Poupaud) und darf sich fortan Jeanne du Barry nennen. Ihr Ziel ist es, ganz nach oben zu kommen, nämlich König Ludwig XV (Johnny Depp) zu betören. Als Pseudo-Adelige kann sie dem Monarchen vorgestellt werden und diese Begegnung wird zu einem vollen Erfolg. Jeannes unverstellte und respektlose Art gefällt dem König; zudem verbindet die beiden eine kindlich-anarchische Freude an der Provokation. Bei Hofe gefällt das nicht jedem, zunehmend echauffieren sich die „echten“ Blaublütigen über die Beziehung. Die Regisseurin und Hauptdarstellerin Maiwenn präsentiert eine Mischung aus Drama und Komödie, wenn sie die Protagonistin als oberflächliches, aber gleichzeitig energiegeladenes Opfer zeigt. Jeanne ist ein Opfer, das zu nutzen weiß, was es hat – Aussehen, Charme und nichts zu verlieren. Ein Historien-Biopic über die legendär gewordene Mätresse König Ludwigs XV und ein moderner Blick auf eine Frau des 18. Jahrhunderts, die Karriere machen wollte.

Frankreich 2023, Regie: Maiwenn, Darsteller: Maiwenn, Johnny Depp, Melvil Poupaud, ohne Altersangabe, 113 min

31.1. | Anselm – Das Rauschen der Zeit

18.00/20.30

Wim Wenders und Anselm Kiefer sind nicht nur nahezu gleich alt (beide Ende 70), sie sind auch Seelenverwandte in ihrem jeweiligen Metier, dem Film und der bildenden Kunst. Und nun legt der Filmemacher eine Dokumentation über den Künstler vor. Er enthüllt Kiefers Lebensweg, seine künstlerischen Anfänge im Odenwald, die ersten großformatigen Bilder von Natur und Landschaft. Dann sehen wir Fahrten zu Josef Beuys nach Düsseldorf, mit eingerollten Arbeiten auf dem Dach seines VW-Käfers; schließlich der Aufbruch nach Südfrankreich und später Paris. Dabei lässt Kiefer die unheilvolle deutsche Geschichte niemals los. Wenders zeigt, wie der Künstler ringt mit dem Tausendjährigen Reich und seinen Folgen, den Trümmerlandschaften und der verbrannten Erde, der Blutspur der Geschichte. Und so arbeitet er mit Materialien wie Asche und Stroh, malträtiert seine Leinwände mit Flammenwerfern und gießt Blei über sie. Dabei gelingt es Wenders, die Grenzen zwischen Film und Malerei immer wieder zu verwischen und gleichzeitig Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verweben. Dokumentarisches Material steht neben Spielszenen, in denen Wenders Großneffe Anton Wenders und Kiefers Sohn Daniel den Künstler als Kind bzw. als jungen Mann verkörpern. Am schönsten aber imaginiert der Filmemacher Kiefers künstlerische Essenz, wenn er ihn hoch auf einem Drahtseil über Trümmerlandschaften balancieren lässt. Ein großer Film über einen großen zeitgenössischen Künstler.

Deutschland 2023, Regie: Wim Wenders, Dokumentarfilm, ab 12, 93 min

24.1. | Elaha

18.00/20.30

In Kooperation mit den Soroptimistinnen Bremerhaven

Eine junge Frau in einem smaragdgrünen Kleid tanzt ausgelassen auf einer Hochzeit – bis ihre Mutter sie zu sich an den Tisch ruft und mahnt, sich zurückzunehmen. In dieser Szene deutet sich der Konflikt bereits an, den die Titelfigur Elaha mit den Wertvorstellungen und Rollenerwartungen ihrer kurdischen Kultur und Familie hat. Was die 22-jährige aber in die Verzweiflung treibt, ist ihre eigene anstehende Heirat und die panische Angst davor, ihr Verlobter könne in der Hochzeitsnacht merken, dass sie bereits zuvor Sex hatte. Eine plastische chirurgische Hymenrekonstruktion scheint ihr letzter Ausweg zu sein. Die Theaterschauspielerin Bayan Layla legt diese Figur zwischen Verzweiflung und zaghafter Emanzipation an. Ihr gelingt es, zwischen Wut, Traurigkeit, nackter Angst und Kampfgeist umzuschalten. Glaubhaft verkörpert sie eine Frau, die zwischen den Stühlen sitzt. In Deutschland aufgewachsen, lehnt sie bestimmte kulturelle Regeln ab. Trotzdem liebt sie ihre Familie und Traditionen und will nicht davonlaufen. Sie findet kleine Lücken im System und widersetzt sich den starren Regeln, die nur für Frauen, nie für Männer gelten. Eine Doppelmoral, die das Zuschauen stellenweise fast unerträglich macht. Dabei geht der physische und psychische Druck hier nicht nur von Männern aus. Vielmehr sind es die Frauen, vor allem Elahas Mutter, deren eigenes Ansehen zwischen den Beinen ihrer Töchter zu stecken scheint. Elahas Verlobter und vor allem ihr Vater wirken eher wie hilflose Randfiguren. Und die Regisseurin Milena Aboyan arbeitet auch heraus, wie absurd der Mythos der sogenannten Jungfräulichkeit ist: Die Mehrheit der Frauen blutet beim ersten Geschlechtsverkehr gar nicht und selbst seriöse Gynäkologen können nicht feststellen, ob eine Frau bereits Sex hatte oder nicht.

Deutschland 2023, Regie: Milena Aboyan, Darsteller: Bayan Layla, Derya Durmaz, Nazmi Kirik, ab 12, 110 min

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